Rechtsprechung zum Börsenkurs im Zusammenhang mit Unternehmensbewertungen
Das Thema Börsenkurs im Kontext von Unternehmensbewertungen blickt auf eine lange Historie kontroverser Auseinandersetzungen in Bewertungstheorie und -praxis sowie in der Rechtsprechung zurück. Bereits im Jahr 1967 schlussfolgerte der BGH mit Urteil vom 30.03.1967 (AZ: II ZR 141/64), dass es ausgeschlossen sei, den Börsenkurs der Ableitung des „wahren“ Unternehmenswerts zugrunde zu legen.
BGH vom 21.02.2023 (AZ: II ZB 12/21)
In der Zwischenzeit hat sich die Auffassung des BGH mit Blick auf die Relevanz des Börsenkurses bei Unternehmensbewertungen grundlegend gewandelt. Eine größere Aufmerksamkeit erlangte jüngst ein BGH-Beschluss vom 21.02.2023. Danach könne die Angemessenheit der Abfindung der außenstehenden Aktionäre i.S.d. § 305 AktG im Rahmen von Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsverträgen anhand des Börsenwerts der Gesellschaft bestimmt werden. Auch könne der Börsenwert einer Gesellschaft dafür geeignet sein, Grundlage für den gem. § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG zu bestimmenden angemessenen Ausgleich zu sein.
BGH vs. IDW
Dieser Beschluss des BGH führte in der Öffentlichkeit zu kontroversen Diskussionen. So äußerte sich der Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) des IDW und wies darauf hin, dass es nicht sachgerecht sei, zur Bestimmung von Abfindungen und anderen Angemessenheitsprüfungen ausschließlich auf den Börsenkurs abzustellen, ohne eine Zukunftserfolgswertermittlung durchzuführen (bspw. Discounted Cashflow-Verfahren oder Ertragswert-Verfahren). Als Gründe führt der FAUB des IDW u.a. auf, dass wertrelevante unternehmensinterne Informationen dem Kapitalmarkt nicht bekannt und somit nicht im Börsenkurs reflektiert seien und auch empirische Untersuchungen zeigen würden, dass der Markt und die Börsenkurse kurzfristigen Stimmungen unterliegen und deshalb den fundamentalen Unternehmenswert nicht widerspiegeln.
BGH vom 31.01.2024 (AZ: II ZB 5/22)
Grundsätzliche Eignung des Börsenkurses
Mit Beschluss vom 31.01.2024 bestätigte der BGH nun aber seine bereits im Februar 2023 vertretene Auffassung, indem er zum Ausdruck brachte, dass es – entgegen der Ansicht des FAUB des IDW – nicht darauf ankomme, dass der Kapitalmarkt in Bezug auf die Anteile streng allokations- und informationseffizient ist, also ein Zustand perfekten Wettbewerbs herrscht und alle prinzipiell zugänglichen öffentlichen und nichtöffentlichen Informationen korrekt in den Kursen verarbeitet sind. Nur wenn im konkreten Fall von der Möglichkeit einer effektiven Informationsbewertung durch die Marktteilnehmer nicht ausgegangen werden könne, sodass der Börsenkurs keine verlässliche Aussage über den Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung erlaube, könne der Anteilswert nicht unter Rückgriff auf den Börsenkurs ermittelt werden. Der Rückgriff auf Börsenkurse scheide insofern aus, wenn ein funktionierender Kapitalmarkt nicht gegeben ist, d.h. wenn über einen längeren Zeitraum mit den Aktien der Gesellschaft praktisch kein Handel stattgefunden hat (Vorliegen einer sog. Marktenge). Klärungsbedarf besteht nun dahingehend, welche Kriterien bzw. Kennzahlen mit welchen Grenzwerten einschlägig sein sollten, um eine ggf. vorhandene Marktenge zu bejahen oder zu verneinen. Auch wenn unerklärliche Kursausschläge oder Kursmanipulationen vorliegen oder wenn kapitalmarktrechtliche Veröffentlichungspflichten nicht eingehalten wurden, könne es an einer hinreichenden Aussagekraft des Börsenkurses mangeln.
Fazit
Die Frage, ob der Börsenkurs einer börsennotierten Gesellschaft grundsätzlich eine geeignete Methode zur Schätzung des „wahren“ Unternehmenswerts ist, hat der BGH eindeutig mit Ja beantwortet. Offen ist hingegen weiterhin die Frage, wann ein vorhandener Börsenkurs nicht ausreichend aussagekräftig ist. Trotz zahlreicher noch offener Fragen im Zusammenhang mit der Relevanz des Börsenkurses steht aber bereits jetzt fest, dass dieser im Zusammenhang mit Unternehmensbewertungen von börsennotierten Gesellschaften spürbar an Relevanz gewonnen hat.
Autoren: CVA Gregor Zimny und WP/StB Thomas Kupke, beide München
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